»Stadt der Nähmaschinen«: Diesen Beinahmen trug Wittenberge ein ganzes Menschenleben lang mit Stolz. Die Ära begann mit der Grundsteinlegung des Singer-Werkes im Jahr 1903. Es folgte eine Blütezeit für das zwischen Berlin und Hamburg gelegene Industriestädtchen.
Bei einer Tour durch Wittenberge erfahren Sie die Industriekultur am besten. Die ca. zwölf Kilometer lange Tour können Sie sowohl zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen: Komoot
Der größte frei stehende Uhrenturm auf dem europäischen Festland, Baujahr 1929, kündet davon. In fast 90 Jahren wurden in Wittenberge über sieben Millionen Nähmaschinen gebaut. Erst mit der Wende kam das Aus für den Traditionsstandort. Das Stadtmuseum »Alte Burg« hält mit einer eindrucksvollen Nähmaschinensammlung und einer Dauerausstellung die Erinnerung lebendig.
Dass die kleine Stadt Wittenberge bis heute eine direkte Zuganbindung an Berlin und Hamburg hat, ist dem Kaufmann Salomon Herz zu verdanken. Er erkannte bereits 1823 die Vorzüge der Ackerbürgerstadt durch ihre Lage, die Rohstoffe und die verfügbaren Arbeitskräfte. Salomon Herz kaufte ein Dünengrundstück und errichtete dort die »vorzüglichste und größte Fabrik Europas« zur Verarbeitung von Ölsaaten.
Seiner intensiven Lobbyarbeit ist es zu verdanken, dass die Streckenführung der Berlin-Hamburger-Bahn über Wittenberge ging. Außerdem forcierte er den Bau der Eisenbahnbrücke über die Elbe. Die Bahn wurde zum wichtigsten Arbeitgeber der Stadt. Weitere Betriebe siedelten sich an. Dementsprechend prunkvoll ist das Bahnhofsgebäude (1), 1846 im klassizistischen Stil erbaut, das bis heute der größte Bahnhof zwischen den Metropolen Berlin und Hamburg ist. Hier startet die Tour durch die Stadt Wittenberge.
Vom Bahnhof aus wendet man sich nach links in die Straße Zum Bahnhof. Nach 300 Metern kommt man zum Historischen Lokschuppen (2), dem größten Eisenbahnmuseum Brandenburgs. Das ehemalige Bahnbetriebswerk ist über 160 Jahre alt und gehörte einst zu den größten Bahnbetriebswerken der Deutschen Reichsbahn. Bereits 1846 nahm die Berlin-Hamburger Eisenbahn hier den ersten Lokschuppen in Betrieb, der nach und nach um verschiedene Werkstätten und Lokbehandlungsanlagen ergänzt wurde.
Vom Lokschuppen biegen Sie nach links auf den Rad- und Fußweg parallel zur Packhofstraße ab. Am Ende der Straße sehen Sie das ehemalige Schrankenwärterhaus (3). Halten Sie kurz inne und schauen Sie nach rechts auf das Verwaltungsgebäude des ehemaligen Elektrizitätswerkes (4). Das Denkmal wurde 1911 errichtet, es dient heute als Firmensitz und Wohngebäude. Weiter geht es in die Bad Wilsnacker Straße, wo nach wenigen Metern die Naylorsche Villa (5) gut zu sehen ist. Dieses Denkmal wurde 1896 als Wohnhaus des Fabrikanten der Naylorschen Tuchfabrik, Edmund Saville Naylor errichtet.
Folgen Sie der Bad Wilsnacker Straße weiter, unterqueren Sie die Eisenbahnunterführung und halten Sie sich links. Nach 300 Metern stehen Sie vor dem historischen Tor 1 des Nähmaschinenwerkes (6). Es lohnt sich, das Tor, das die einstige Haupteinfahrt in das Nähmaschinenwerk war, näher zu betrachten: Dargestellt sind die einzelnen Berufe, die für den Weltruhm der Nähmaschinen, made in Wittenberge, notwendig waren.
Weiter auf der Bad Wilsnacker Straße sehen Sie schon von Weitem den Uhrenturm (7), der als Wasserturm noch heute in Betrieb ist. Die Uhr – eine der größten Turmuhren Europas – diente als Schmuckelement. Der imposante Turm mit seinen 49,4 Metern Höhe zeugt vom Stolz der Nähmaschinenwerker in Wittenberge. Der Turm lockt mit seiner Geschichte des Nähmaschinenwerks und der Haushaltsnähmaschinen. Eine knappe Stunde sollte man für die Besichtigung einplanen.
Singer erkannte die günstige Lage der Stadt Wittenberge als Verkehrsknotenpunkt. So wurde Wittenberge mit der Grundsteinlegung der Gießerei ab 1903 die Stadt der Nähmaschinen. In der Gießerei wurden Gehäuse und Grundplatten der Nähmaschinen gegossen. Schon 1904 lief die erste der begehrten Singer-Nähmaschinen hier vom Band. Fast 100 Jahre lang wurden Nähmaschinen der Marken Singer, Veritas und Naumann gefertigt und nach Berlin und weit darüber hinaus geliefert. In ganz Europa waren die Nähmaschinen sehr begehrt.
Weiter geht es auf der Bad Wilsnacker Straße. Nach der Überquerung des Flusses Stepenitz, erstreckte sich einst das Gelände des ehemaligen Zellstoff- und Zellwollewerkes (8), das auch eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme war. Das 1939 errichtete Werk produzierte bis 1990 u. a. Zellwolle, Zellstoff und Zellglas. In der Freiluftausstellung können verschiedene Anlagen betrachtet werden. Zeit für eine Mittagspause? Dann bietet sich die Denkmal-Kantine »Alte Zellwolle« geradezu an.
Erfrischt geht es nun wieder die Bad Wilsnacker Straße bis zum Tor des Nähmaschinenwerkes zurück. Vor der Eisenbahnunterführung biegen Sie links ab und radeln parallel zur Bahntrasse auf die Straße Elbdeich und biegen rechts auf den Königsdeich (9). Hier, zwischen Elbe und Winterhafen, befindet sich die Pegelanzeige und man hat einen tollen Blick in die Elbtalaue. Fahren Sie zurück, unter der Eisenbahnbrücke hindurch in die Bad Wilsnacker Straße. Sie kommen vorbei an der neuen Eigenheimsiedlung auf dem Gelände der ehemaligen Wollzupffabrik (10) und später Norddeutschen Maschinenfabrik, die im 2. Weltkrieg aufgrund der Rüstungsproduktion völlig zerstört worden ist.
Biegen Sie nach 300 Metern links auf das Gelände der Alten Ölmühle (11) mit Oktaedern, Saugturm und Speicher ab. Hier begann die wirtschaftliche Entwicklung Wittenberges mit der 1823 gegründeten Ölmühle. Bis 1991 wurden hier Ölsaaten zu Rohöl für Leucht- und Schmiermittel verarbeitet, nur ein geringer Teil wurde zu Speisezwecken veredelt. Heute wird das Areal als Hotel mit vielen Freizeitangeboten genutzt. Das Angebot reicht von Indoor- Tauchturm über Indoor-Kletterturm bis zur Schaubrauerei und Strandbar. Hier befindet sich auch die Bühne der Elblandfestspiele. Das Restaurant »Brauhaus« bietet gehobene Küche. Umfahren Sie das Hotel und fahren dann nach rechts auf der Elbuferpromenade entlang. Gute Fotomotive sind der historische Ölmühlhafen (12) sowie der Stadt- und der Winterhafen.
Weiter auf der Elbuferpromenade sehen Sie die historischen Getreidespeicher (13) und wenige Meter weiter entdecken Sie die denkmalgeschützte Slipanlage für Wasserfahrzeuge (14). Die Vorrichtung dient dem Heben von Wasserfahrzeugen, um Reparaturen ausführen zu können. Nach 50 Metern verlassen Sie die Elbuferpromenade und fahren geradeaus weiter in die Hafenstraße, wo Sie an der Kreuzung auf der linken Seite den Pegelstandsanzeiger am Wasser- und Schifffahrtsamt erblicken. Hier können Sie ganz akkurat den Wasserstand der Elbe ablesen. Biegen Sie nach links in die Elbstraße und wenden den Blick nach rechts. Hier befi ndet sich der zum Wohnhaus umgebaute ehemalige Speicher Hofmann und Roemer (15). Früher befanden sich in dem Speicher im Erdgeschoss das Büro und das Lager für Salz und Zündhölzer, im ersten Stock das Lager für Stärkeerzeugnisse und Gewürze und darüber das Lager für Zucker, Gries, Mehl, Haferflocken und in der 3. Etage wurden landwirtschaftliche Sämereien, Grassamen und Futterrüben gelagert.
Schräg gegenüber befindet sich das ehemalige Kranhaus (16). Es wurde 1905 in der jetzigen Ziegelbauweise errichtet. Die große Ladebrücke und ein nicht mehr vorhandener Laufkran, der die Waren heben konnte, waren Bestandteil des Kranhauses. Auf der Kranrampe wurden Rollreifenfässer mit leicht brennbaren Flüssigkeiten, im unteren Lagerraum Kisten, Metallbehälter und Kartons und im oberen Lagerraum Sackwaren bis zum weiteren Transport gelagert.
Weiter auf der Elbstraße finden Sie eine ganze Reihe von Pensionen, Ferienwohnungen und Einkehrmöglichkeiten. Blicken Sie nach links auf den Sportboothafen (17). Wo sich einst die Flößerstelle befand, ist heute der Caravanstellplatz und Bootsanleger für Sportboote. Von hier fahren Sie den Deich herunter in Richtung Elbe und biegen nach 300 Metern links ab, um auf den Hammelwerder (18) (Wiese) zu kommen und eine Ruhepause am großen Strom einzulegen.
Wieder zurück auf dem Deich folgen Sie diesem bis zur Elbstraße, biegen erst rechts und nach einem kurzen Stück links ab auf die Straße Im Hagen, von der aus Sie rechts in die Wahrenberger Straße kommen. Nach 50 Metern rechts auf die Wahrenberger Straße und gleich wieder rechts in die Quitzowstraße abbiegen und nach weiteren 50 Metern links in die Putlitzstraße. Hier finden Sie das Stadtmuseum »Alte Burg« (19), das älteste Wohnhaus der Stadt auf dem ehemaligen Rittergut. Es wurde 1669 durch den Stadtherren Adam Rudolf Gans erbaut und unter anderem als Wohnhaus, Gärtnerei, Töchterschule, Altersheim und nun als Museum genutzt. Eine Führung lohnt sich, denn das Museum zeigt interessante Dauer- und Sonderausstellungen zur Stadtgeschichte, wunderschöne Nähmaschinen aus zwei Jahrhunderten und seltene Einblicke in die DDR-Unternehmenskultur. Auf Schritt und Tritt spürt man, mit wie viel Herzblut und Liebe zum Detail das Museum geführt wird.
Fahren Sie die Putlitzstraße weiter bis zum Ende und biegen dann rechts in die Burgstraße ein. Hier stehen Sie vor der Evangelischen Kirche (20), die über der kleinen Altstadt thront. Mit dem industriellen Aufschwung Wittenberges im 19. Jahrhundert wurde auch die Stadt von einer Aufbruchstimmung erfasst: Der Abriss der zu klein gewordenen Gebäude von Schule, Rathaus und alter Kirche ermöglichte einen Bauplatz für die 1872 errichtete neue Kirche. Preußisch pflichtbewusst schuf der Architekt Ferdinand Wilhelm Horn, der auch in Berlin tätig war, ein Gebäude, dass in der Tradition der von Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler entwickelte neugotische Kirchenarchitektur steht.
Wenn Sie der Burgstraße wieder zurück und bis zum Ende folgen, sehen Sie das Steintor (21), das um 1300 errichtet wurde. Es ist das älteste Gebäude der Stadt und diente als Tor zur Altstadt und lange Zeit als Polizei und Gerichtsgefängnis zur Verwahrung städtischer Verbrecher und Vagabunden. Heute ist hier die Dauerausstellung »Achtung! Alter Turm« untergebracht, die sich in rund einer halben Stunde zu entdecken lohnt.
Fahren Sie geradeaus weiter in die Turmstraße, biegen Sie die erste links ab, in die Wahrenberger Straße, nach ca. 300 m biegen Sie rechts in die Weinbergstraße und überqueren die Kreuzung geradeaus in die Parkstraße. Dann halten Sie sich rechts und fahren weiter in die Wiglowstraße. An der nächsten Kreuzung biegen Sie links in die August-Bebel-Straße ab bis zum Rathaus (22), das 1914 durch Stadtbaurat Bruns errichtet wurde.
Weiter geht es am Rathaus vorbei und dann links bis zur Kreuzung, an der Sie links in die Ernst-Thälmann-Straße bis zur Ampelkreuzung fahren. Hier biegen Sie rechts ab auf die Parkstraße, vorbei am Wasserturm (23) in den Park. Folgen Sie dem Parkweg geradeaus, der in die Krausestraße und dann in die Goethestraße übergeht, wo Sie nach 300 Metern rechts in die Johannes-Runge-Straße zum Haus der vier Jahreszeiten (24) einbiegen. Das Gebäude im Jungendstil wurde 1906 als Wohn- und Geschäftshaus erbaut. Fahren Sie zurück zur Goethestraße, die Sie zurück zum Bahnhof (1) bringt und wo Sie Ihre erlebnisreiche Tour durch die Industrie und Stadtgeschichte Wittenberges beenden können. Oder Sie kehren noch in eine der vielen Gaststätten ein.